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Tod und Trauer im Judentum

Kantor Benjamin Chait von der Synagogengemeinde Saar gibt im Rahmen des Saarbrücker Hospizgespräch spannende Einblicke in den Trauer- und Sterbeprozess im Judentum

In der palliativmedizinischen Begleitung jüdischer Patienten am Lebensende kommt es nicht selten zu Missverständnissen und Konflikten zwischen Angehörigen und Behandlungsteams. Mitunter befürchten die Familien, dass ihre Angehörigen einer würdenehmenden Medizin ausgeliefert sein könnten oder ihnen Chancen vorenthalten würden.

Generationenübergreifende Traumata und verstörende Erinnerungen an das schreckliche Sterben in der Shoa erklären die verbreitete Angst davor, dass das medizinisch indizierte Zurücknehmen von Flüssigkeitsgaben am Lebensende einen qualvollen Tod durch Verhungern und Verdursten zur Folge haben könnte. Zusätzlich gibt es auch die Sorge, dass ein zu großzügiger Einsatz von Opiaten versteckt aber aktiv das Leben verkürzen würde.

Die absolute Verabscheuung des Todes einerseits, jedoch die unbedingte Wertschätzung von Gesundheit und irdischem Leben andererseits sind fundamentale Prinzipien jüdischen Denkens. Im Judentum gilt alles, was Leben schenkt oder Leben erhält, als gut und gesegnet. Alles, was den Tod bringt oder mit dem Tod in Berührung kommt, ist böse, verflucht und unrein. Die religiöse Begründung dieser strengen Trennung zwischen Leben und Segen auf der einen, und Tod und Fluch auf der anderen Seite, sowie der Verpflichtung, dass der Mensch sich für das Leben und damit für das Gute entscheiden müsse, finden sich in den fünf Büchern Mose, der Tora. Sie gilt nach jüdischer Vorstellung als göttlich geoffenbarte Lehre: „Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwählst und am Leben bleibst.“ (Dtn. 30,19).

Nach jüdischem Verständnis ist das Leben selbst in seinen allerletzten Augenblicken von unendlichem und unteilbarem Wert. Ebenso gilt auch ein Leben mit großen Einschränkungen und Einbußen an Lebensqualität als heilige Leihgabe des Schöpfers. Der Mensch hat keinen Besitzanspruch auf dieses nur geliehene Gut und soll stets „das Leben wählen“, also achtsam damit umgehen und es bewahren. Folglich ist er dazu verpflichtet, alles Erdenkliche zu tun, sein Leben zu erhalten. Jede Handlung und jedes Unterlassen, die das Leben auch nur um einen Augenblick verkürzen könnten, gelten im jüdischen Religionsgesetz als Entscheidung gegen das Leben und damit als Mord.

Genauso wie das jüdische Religionsgesetz alle Maßnahmen verbietet, die das Sterben absichtlich beschleunigen, verbietet es umgekehrt auch alle Maßnahmen, die den Sterbeprozess eines Menschen künstlich in die Länge ziehen und die Seele davon abhalten, den Körper zu verlassen. Lassen sich also die Grundprinzipien der Hospiz- und Palliativarbeit mit denen des jüdischen Glaubens vereinen? Diese und andere Fragen regten die Teilnehmer*innen des Saarbrücker Hospizgespräches zu einer angeregten Diskussion mit Kantor und Referent des Abends, Benjamin Chait, an. Alle Fragen konnten an diesem Abend nicht geklärt werden. Aber alle haben etwas mitgenommen und erfahren, wie andere Weltreligionen mit dem Thema Leben und Tod umgehen und was es im Fall der Fälle bei der Versorgung von Menschen, mit einem anderen als dem christlichen Glauben, zu beachten, bzw. zu hinterfragen gibt.

 

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Das gut besuchte Saarbrücker Hospizgespräch war geprägt von einer spannenden Diskussion zum Thema Leben und Sterben im Judentum